Letzte Station Torgau. Eine kalte Umarmung (UA)

Dokumentartheaterprojekt von dura & kroesinger
Freital, Groß Leuthen, Wittenberg, Burg — Ortsnamen, die für viele mit bleibenden Erinnerungen verknüpft sind. Doch es sind keine Erinnerungen an gute Landluft und Schlossbesichtigungen: Hier befanden sich die „Jugendwerkhöfe“ der DDR-Jugendhilfe, in denen in der Sprache des Systems sogenannte „Schwererziehbare“ unter realsozialistischen Vorzeichen gesellschaftskonform gemacht werden sollten. Für die Einweisung genügte es mitunter, sich der Mitgliedschaft in der FDJ zu widersetzen.

Mit aus der Sowjetunion importierten Disziplinierungsmethoden wurde den Jugendlichen der Geist des Kollektivismus eingetrieben. Physische und psychische Gewalt war an der Tagesordnung, bis hin zur gefürchteten „Explosionsmethode“.

Viele der Betroffenen hatten vor der Einweisung in die Jugendwerkhöfe bereits eine Odyssee durch andere, ebenso demütigende Heimarten hinter sich, verbrachten fast ihre ganze Kindheit und Jugend im System der Zwangserziehung. Andere wurden unangekündigt abgeholt und auf tagelange Irrfahrten geschickt, deren Ziel ihnen bis zuletzt verheimlicht wurde.

Unter dem Tarnbegriff „Arbeitserziehung“ wurden die Insassen zu einem Hungerlohn als „Hilfsarbeiter“ ausgebildet — und wurden so als Teil eines Systems der Zwangsarbeit ausgebeutet. Herstellen mussten sie unter anderem Bauteile für Selbstbaumöbel großer westlicher Konzerne — was dem Arbeiter-und-Bauern-Staat wertvolle Devisen und der „freien Welt“ kostengünstige Wohlfühl-Wohnatmosphäre einbrachte.

War man mutig genug, widersetzte man sich im Kleinen wie im Großen — heimliche Partys, die bei Entdeckung streng sanktioniert wurden, bis hin zur Flucht, die früher oder später doch wieder in der Anstalt endete. Über allem schwebte ein Wort als Drohung für wiederholtes Fehlverhalten: Torgau. Dort befand sich der „Geschlossene Jugendwerkhof“, der als letzte Instanz nicht mehr verbarg, was das gesamte System der Heime in Wirklichkeit war: ein Gefängnis für die, die nicht mitmachen wollten oder konnten.

Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger arbeiten seit 2000 zusammen und zählen zu den herausragenden Vertretern des gegenwärtigen Dokumentartheaters. In ihren Inszenierungen fließen Zeitzeugenberichte und Dokumente in dichte, vielschichtige Texte zusammen. Sie haben im deutschsprachigen Raum an Theatern wie dem Berliner HAU, dem Maxim Gorki Theater Berlin, dem Staatstheater Karlsruhe und dem Landestheater Linz sowie international gearbeitet. Am Schauspiel Leipzig haben sie bereits 2020 in „Brennende Erde“ die Geschichte des Braunkohletagebaus in der Region Leipzig aufgearbeitet.
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Pressestimmen

KULTURA-EXTRA
„Den Aussagen der ehemaligen Insassen wird viel Raum gegeben. Eine fällige Ermächtigung im Nachhinein. [...] Heute sind Teile des Jugendwerkhofs Torgau Museum und Gendenkstätte. Und auch diese Inszenierung kann mit dafür sorgen, dass die Aufarbeitung des Unrechts im Bewusstsein des vereinigten Deutschlands bleibt.“
LVZ
„Der Abend übt sich in Zurückhaltung. Es gibt keine Darstellungen von Gewalt, keine Re-Enactments von Szenen, allenfalls Andeutungen über Requisiten. [...] Der Rest sind Berichte, die in kleine wirkungsvolle Bilder und Arrangements übersetzt werden. [...] Dieser Abend ist ein ebenso bedrückendes wie wichtiges Statement zu einem sehr dunklen Kapitel der DDR, der gerade durch seinen zurückgenommen Einsatz der Mittel das Publikum im Inneren erreichen kann.“
Märkische Oderzeitung
„Entstanden ist ein Stück, das in seiner kalten Wucht fast sprachlos macht. [...] Die Atmosphäre der Angst machen die Schauspieler handfest spürbar, mit sparsamen Gesten und nur wenigen spielerischen Elementen.“
MDR Kultur
„Mit diesem Prinzip der vornehmen Zurückhaltung, des „Weniger ist mehr“, fahren Paulina Bittner, Denis Grafe, Christoph Müller, Teresa Schergaut und die beiden noch Studierenden Ronja Rath und Leonard Wilhelm richtig gut. Weil auch Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger [...] bei aller Spannung, die diesem Thema innewohnt, die nötige Ruhe und Gelassenheit bewahren und spielerisch immer wieder schöne und eben auch sehr beängstigende Lösungen finden.“
nachtkritik
„Die Schauspielerinnen und Schauspieler erzählen frontal zum Publikum. [...] Aus der homogenen Anordnung sticht immer wieder Teresa Schergaut heraus. Sie stellt eine Haltung zu dem Erzählten dar und strahlt aus, wogegen Torgau brutal vorging, das Rebellische, das Nicht-Konforme, das Unangepasste. Schergaut illustriert eindrücklich die Spannung, das Machtspiel zwischen David und Goliath.“
Süddeutsche
„Die Inszenierung muss das nicht illustrieren, die Berichte darüber, was dieses Disziplinarregime bei den Jugendlichen anrichtet, sind eindrücklicher, als es alle nachgebauten Zellentrakte sein könnten. [...] Indem die Schauspieler immer wieder die anarchische Wut, den Selbstbehauptungswillen der internierten Jugendlichen und ihren Kampf für die Selbstachtung zeigen, geben sie ihnen genau das, was Torgau ihnen nehmen wollte: ihre Würde.“
taz
„[...] alles ist belegbar und von Spezialisten des dokumentarischen Theaters gekonnt inszeniert worden.“
Theater heute
„Die Banalität des Bösen bekommt Gestalt. Dabei ist alles Spiel zurückgenommen, maximal reduziert und doch auf den Punkt.“
Kunst und Technik
„In dieser Inszenierung gewinnen die zusammengestellten und recherchierten Texte durch das beeindruckende Spiel des Ensembles
Allgemeingültigkeit und Leben. Die kalkulierte sprachliche und schauspielerische Reduktion hebt die Banalität des Bösen [...] bis an die Grenze des uns Erträglichen hervor.“
Premiere am 11. März 2023
Diskothek

Nächste Termine

https://www.schauspiel-leipzig.de Schauspiel Leipzig Bosestraße 1, 04109 Leipzig
So, 21.04. 20:00 — 22:00
Diskothek

Weitere Termine in Planung

Spieldauer

ca. 2:00, keine Pause

In dieser Inszenierung wird Stroboskoplicht verwendet.

Besetzung

Nicole Widera als alternierende Besetzung für Teresa Schergaut (ab Januar 2024)

Team

Konzept und Text: Regine Dura
Musik: Jonas Marc Anton Wehner / Warm Graves
Bühne und Kostüme: Hugo Gretler
Dramaturgie: Georg Mellert
Licht: Mattheo Fehse
Video: Fabian Polinski
Ton: Udo Schulze, Gregory Weis
Theaterpädagogische Betreuung: Nele Hoffmann

Erweitertes Team

Mitarbeit Kostüm, Bühnenbildassistenz: Arabella Marsh-Hilfiker
Inspizienz: Jens Glanze
Soufflage: Philine von Engelhardt
Regieassistenz: Emily Huber
Maske: Anja Engert
Requisite: Thomas Weinhold
Bühnenmeister: Thomas Kalz
Regie- & Dramaturgiehospitanz: Sophie Albrecht, Vincent Koch
Bühnenbild- & Kostümhospitanz: Charlotte Kaiser

Trailer