Expertengespräche

am Schauspiel Leipzig
Seit der Spielzeit 2015/16 lädt das Schauspiel Leipzig regelmäßig Gäste ein, um die übergreifenden Themen der Spielzeiten oder einzelner Inszenierungen weitergehend zu diskutieren. In über zwanzig Veranstaltungen, in Gesprächen unter der Moderation von Dr. Jens Bisky von der Süddeutschen Zeitung oder in Vorträgen, hat sich auf diese Weise der theatrale Diskurs am Schauspiel Leipzig in unterschiedlichste Bereiche weiterverzweigt.

Die Expertengespräche werden in der laufenden Spielzeit fortgesetzt.

Die Gespräche der Spielzeiten 2016 bis 2018 bündelt das Buch „Ist der Osten anders?“, das im Verlag Theater der Zeit als Band 143 in der Reihe Recherchen erschienen ist.
Die Gespräche der Spielzeit 2015/16 sind unter dem Titel „Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt“ im Verlag Theater der Zeit als Band 124 dokumentiert. Beide Bände sind in unserem Webshop erhältlich.

Expertengespräche „Dreißig Jahre später“

in der Spielzeit 2019/20
Die Ereignisse des Herbstes ’89 jähren sich zum dreißigsten Mal. Diese Zeit steht schon länger im Fokus der Betrachtungen. Weniger diskutiert ist die Dekade, die darauf folgte: die 90er Jahre. Eine Zeit der Umbrüche, in der viele Weichen gestellt wurden (wirtschaftlich, sozial, politisch), die das Land entscheidend prägten — und die uns in der Folge möglicherweise noch heute beschäftigen. Diese Zeit war der Startpunkt für sehr gegensätzliche Entwicklungen einer ganzen Gesellschaft. Welche Chancen entstanden? Welche Verluste gab es? Wie verschieden wurde sie erlebt, und was bedeutet sie für die Gegenwart?
1989 brach die kommunistische Welt- und Wirtschaftsordnung zusammen. Es begann die große ökonomisch-gesellschaftliche Transformation im Geist des Neoliberalismus, die später auch alte Gewissheiten der Bundesrepublik umwarf. Philipp Ther veröffentlichte mit „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ eine wegweisende Analyse dieser Epoche und ihrer tiefgreifenden Folgen bis heute: Die Diskrepanz zwischen Land und Stadt, zwischen Aufschwung und Stillstand, zwischen neuem Wohlstand und neuer Armut, sie nahm auch dort ihren Anfang.
Zudem erscheint Ende September von Philipp Ther der Essay-Band „Das andere Ende der Geschichte“, der die Themen aus „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ in die Gegenwart weiterverfolgt. Im Gespräch werden Jens Bisky und Philipp Ther die Entwicklungen diskutieren.

Zum dreißigsten Jahrestag der Geschehnisse des Herbstes 1989 nimmt zudem das Schauspiel Leipzig Claudia Bauers Inszenierung von Peter Richters „89/90“ wieder auf, zu sehen auch am 9. Oktober im Anschluss an das Gespräch.
9. Oktober 2019
Philipp Ther

Dreißig Jahre später (III)

Das Ende der Gewissheiten
In seinem Buch „Endspiel“ hinterfragte llko-Sascha Kowalczuk die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zustände und Geschehnisse, die zum Ende der DDR geführt haben. Eine kritische Bestandsaufnahme und zugleich eines der Standardwerke zur jüngeren deutsch-deutschen Geschichte.
Mit seinem Band „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“, erschienen Ende August, geht Kowalczuk mit einem erneuten Blick auf diese Zeit ein und verlängert die Fragestellung auf die Entwicklungen bis in unsere Tage. Eine Perspektive, die das Gespräch zwischen Jens Bisky und llko-Sascha Kowalczuk diskutieren wird.

Auch am 28. November ist im Anschluss an das Gespräch die Vorstellung von „89/90“ im Programm.
28. November 2019
Ilko-Sascha Kowalczuk

Dreißig Jahre später (IV)

Einigung oder Übernahme
Die ersten beiden Diskussionen der Reihe „Dreißig Jahre später“ haben bereits in der Spielzeit 2018/19 stattgefunden. 

Zum Start diskutierte Dr. Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung) mit Jana Hensel (Berlin) und Frank Richter (Dresden): „Entwicklungen von 1990 bis heute“. Die Schriftstellerin Jana Hensel setzt sich seit „Zonenkinder“ 2002 literarisch und diskursiv mit dem deutsch-deutschen Zusammenleben auseinander.  Frank Richter gehörte zur Dresdner „Gruppe der 20“ und war Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen.
4. April 2019
Jana Hensel
Frank Richter

Dreißig Jahre später (I)

„Entwicklungen von 1990 bis heute“
Ursula Lehmann-Grube zog mit ihrem Mann aus Hannover nach Leipzig, als Hinrich Lehmann-Grube 1990 zum Oberbürgermeister der Stadt Leipzig gewählt wurde. 2009 erschienen ihre Erinnerungen an diese Jahre: „Als ich von Deutschland nach Deutschland kam. Leipziger Tagebuch 1990/91“ — unmittelbare Beobachtungen der Entwicklungen, Konflikte und Mentalitäten in dieser Stadt. Der Filmemacher Andreas Voigt hat zur selben Zeit diese Entwicklungen mit seiner Kamera aufgefangen: Seine Dokumentarfilme porträtieren die Menschen dieser Stadt, wie sie mit den Herausforderungen der Jahre umgehen und sie erleben. Einerseits ist es an der Zeit, sich mit diesen Beobachtungen heute noch einmal zu beschäftigen — andererseits geht an beide Gäste die Frage: Wie sehen sie die Entwicklung zum Heute?
Das Gespräch fand statt im und als Kooperation mit dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig.
13. Juni 2019
Ursula Lehmann-Grube
Andreas Voigt

Dreißig Jahre später (II)

„Leipzig in den 90er Jahren“

Expertengespräche „ICH ICH ICH ICH ICH“

in der Spielzeit 2018/19

Egozentrik und Gesellschaft. Wie modern ist Faust?

Die Expertengespräche der Spielzeit 2018/19 hatten ausgehend vom Spielzeitmotto die „Faust“-Inszenierung im Blick. Die Inszenierung des „FAUST“ widmet sich der Gegenüberstellung des Einzelnen und der Gesellschaft, Fragen von Konvention und Individuum.
Das Motto der Spielzeit, „ICH ICH ICH ICH ICH“, gilt einer lauter werdenden Gesellschaft in einer Zeit, in der Selbstverwirklichung rücksichtsloser, umfassender ausgelebt wird als zuvor. Konzepte eines radikalen Individualismus prägen die Arbeitswelt, Familienverhältnisse und Politik. Es sieht so aus, als müsste man sich selbst verwirklichen, als gäbe es keine andere Wahl. Was bringt uns dazu? Und kann man dem Zwang zum Besonderen entfliehen?
Der Soziologe Andreas Reckwitz (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)) fühlt in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ einer Gegenwart den Puls, die das Einzigartige prämiert und sich mit dem Durchschnittlichen langweilt. 
Reckwitz nimmt das Ideal der Selbstverwirklichung in den Blick und fragt, welche Folgen der Kult um Originalität und das Besondere hat. Er folgt diesem Streben – hinein in ein Geflecht aus radikal ausgelebtem Individualismus und Besonderheitsdruck, Selbstoptimierung und Frustration. Die Selbstverwirklichungs-Gesellschaft kennt viele Verlierer. Mit den Möglichkeiten wachsen auch die Unzufriedenheiten. Bei allem Streben nach Individualisierung – was ist ihr Preis? Und wie sehr passen sich gerade die Virtuosen der Einzigartigkeit an eine Gesellschaft an?

1. Dezember 2018
Prof. Andreas Reckwitz

Egozentrik und Gesellschaft.

Auch Heinz Bude ist den Dynamiken der Gesellschaft auf der Spur. Wie verhält sich der Einzelne zur Gemeinschaft? Wo entsteht Unzufriedenheit – und welche Kräfte setzt sie frei? Die oft zitierte „Mitte der Gesellschaft“, wie stellt sie sich heute dar? Und wie war sie früher strukturiert? Welche Umbrüche stehen bevor, welche sind noch nicht verarbeitet?

Anne Bohnenkamp-Renken, Leiterin des Goethe-Hauses Frankfurt am Main, ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der gegenwärtigen Goethe-Forschung. Anhand der historisch-kritischen Edition des „Faust“-Textes arbeitet sie daran, den jahrzehntelangen Schreib- und Schaffensprozess Goethes näher zu beleuchten, die gesellschaftlich-historischen Umbrüche und ihre Einflüsse auf das Werk freizulegen – und dabei ein Drama zu entdecken, das bereits pointierte ökonomische, wissenschaftliche und ethische Fragestellungen der Moderne und damit Themen der Gegenwart formuliert.

2. Februar 2019
Prof. Heinz Bude
Prof. Anne Bohnenkamp-Renken

Wie modern ist Faust?

Expertengespräche „Angst oder Liebe“

in der Spielzeit 2017/18
In den Gesprächen der Spielzeit 2017/18 näherten sich Experten aus verschiedensten Wissensbereichen und Erfahrungsgebieten der Inszenierung „Kasimir und Karoline“ von Ödon von Horváth und dem Doppelprojekt „Die Maßnahme / Die Perser“ nach Brecht und Aischylos sowie „Wolken.Heim“ von Elfriede Jelinek an.

Die Veranstaltungen finden sich gesammelt dokumentiert im Gesprächsband „Ist der Osten anders?“.
Der Publizist Willi Winkler war im Rahmen der begleitenden Vorträge zum Doppelprojekt „Die Maßnahme / Die Perser“ am 22. November 2017 zu Gast am Schauspiel Leipzig. Das Thema seines Vortrags war: „Die grauenhafte Unbedingtheit. Der deutsche Linksextremismus und 'Die Maßnahme'“.
Vor vierzig Jahren fand in der Bundesrepublik Deutschland mit dem sogenannten „Deutschen Herbst“ der Terror seitens der Rote Armee Fraktion seinen Höhepunkt. „Die Maßnahme“ gehörte zu den zentralen Texten, die innerhalb der RAF immer wieder zitiert wurden, insbesondere im Kreis der in Stammheim Gefangenen. Welches Denken seitens der RAF diesem Bezug zugrundelag und wie sehr literarische Bezüge generell eine Rolle spielten im theoretischen Denken und im Selbstverständnis der RAF, behandelt der Vortrag Willi Winklers, der 2007 mit der „Geschichte der RAF“ eines der Standardwerke veröffentlicht hat.

22. November 2017
Willi Winkler

Die grauenhafte Unbedingtheit.

Der deutsche Linksextremismus und „Die Maßnahme“
Begleitend zur Inszenierung „Die Maßnahme / Die Perser“ sprachen der Osteuropa-Historiker und Publizist Prof. Karl Schlögel und Jens Bisky über die historischen Entwicklungen in der UdSSR und die stalinistischen Schauprozesse im Moskau der 1930er Jahre.
9. Dezember 2017
Prof. Karl Schlögel

„Die Maßnahme“. Realität und Fiktion.

Anlässlich der Inszenierung von „Kasimir und Karoline“ und der Leipziger Uraufführung des Stückes im Jahre 1932 nahm der Soziologie Prof. Heinz Bude die Entwicklung proletarischer Strukturen in den Blick. Für die gegenwärtige Situation erfasste Bude eine Vielzahl von Beschäftigten, die sich in einfachen, gering bezahlten und gesellschaftlich wenig anerkannten Dienstleistungsverhältnissen befinden, deren Problem auch darin besteht, dass sie keine weiteren Karrierechancen mehr bieten. Den entscheidenden Unterschied zu vorangegangenen proletarischen Bewegungen machte Bude darin aus, dass es heute in der Regel keine „Bewegung“ mehr gibt, die diesen Beschäftigten eine geeinte Stimme und gewerkschaftliche Organisation geben könnte. Problematisch wird es auch, so Heinz Bude, wenn seitens der Gemeinschaft dauerhaft Ansehen und Wertschätzung unterbleiben – und sich auf diese Weise Konkurrenzverhältnisse und Behauptungsversuche weiter verschärfen, auch im Wege der Abwertung anderer gesellschaftlicher Gruppen.
11. Januar 2018
Prof. Heinz Bude

Kein starker Arm nirgends.

Das andere Proletariat im alten und neuen Kapitalismus.
Im Gespräch diskutierten Jens Bisky und der Publizist und Historiker Gerd Koenen unterschiedliche revolutionäre Denker der russischen Geschichte und ihre Perspektiven. Das Thema war die russische Literatur, u. a. Dostojewskis „Dämonen / Böse Geister“ sowie Iwan Turgenjews Prosagedicht „Die Schwelle“ (1878), in der eine junge Revolutionärin vor einem nicht näher benannten Gericht steht, das ihre Bereitschaft zu umfassender „Tat“ prüft – und sie für diese Aufgabe schlussendlich nominiert.
Weitere Themen des Gesprächs waren Radikalisierungstendenzen, auch in der jüngeren deutschen Geschichte sowie die Frage einer gegenwärtig „postkommunistischen“ Situation. Gerd Koenen legte 2017 sein Buch „Die Farbe Rot“ vor – eine weit gefasste Analyse des Kommunismus in seinen historischen Entwicklungen, Bedingungen und Folgen.
12. Januar 2018
Gerd Koenen

Die Radikalität der Gedanken und die Radikalisierung der Wirklichkeit.

Erzählungen vom Kommunismus und ihr Verhältnis zur Realität.
„Wolken.Heim“ war 1988 Jelineks Durchbruch auf dem Theater — mit einer Thematik, die auch heute wieder vermehrt in den Raum gestellt wird. Über Orientierungssuchen in der Vergangenheit, Debatten der Gegenwart und Konstruktionen deutscher Identität diskutierte Jens Bisky im Anschluss an die Aufführung von „Wolken.Heim“ mit dem Historiker Herfried Münkler („Die Deutschen und ihre Mythen“), sowie dem Publizisten Robert Misik, der im Wiener Falter und im Standard die aktuelle Entwicklung Österreichs begleitet sowie regelmäßig in der taz schreibt.
8. April 2018
Prof. Herfried Münkler und Robert Misik

Was ist deutsch?

Expertengespräche „Woher Wohin“

in der Spielzeit 2016/17
In der Saison 2016/17 fanden in der Moderation von Dr. Jens Bisky von der „Süddeutschen Zeitung“ vier Gespräche statt, die sich speziell mit dem Motto der Spielzeit auseinandersetzten, „Woher Wohin“.
Parallel zu Produktionen wie „89/90“ und „KRUSO“ und den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Debatten in Deutschland konzentrierten sich die ersten Gespräche auf die Frage der gewachsenen Entwicklung und der aktuellen Beziehung zwischen Ost und West: „Ist der Osten anders?“ und „Die Gesellschaft der Empörten“. Dem europäischen Blick und der Frage nach der Zukunft der EU angesichts diverser konträrer Wahlen und Volksabstimmungen galt die dritte Debatte. Das vierte Gespräch diskutierte das Spielzeitmotto mit Bezug auf die aktuelle Bedeutung der Religionen.
Gäste waren Prof. Heinz Bude und Dr. Gregor Gysi, der Politikwissenschaftler Prof. Hans Vorländer und der Soziologe Dr. Oliver Nachtwey, Daniel Cohn-Bendit und die EU-Abgeordnete Róża Thun sowie Dr. Johann Hinrich Claussen von der Evangelischen Kirche Deutschland und die libanesische Ökonomin Rena Tali.
Einige interessante Impulse der Debatten finden Sie hier.

Diese vier Gespräche sind in dem Buch „Ist der Osten anders?“ im Verlag Theater der Zeit als Band 143 in der Reihe „Recherchen“ dokumentiert, ebenso wie die Gespräche, mit denen die begleitenden Veranstaltungen zu „Die Maßnahme / Die Perser“ begannen: Prof. Martin Sabrow sprach über das Selbstverständnis der kommunistischen Eliten in den 1920er Jahren, und Prof. Helmuth Kiesel beschrieb die Parallelen des Werks zu religiösen und totalitären Strukturen.
„‚Ist der Osten anders?‘ […] Wer zumindest versucht, sich auf die Fragestellung einzulassen, erhält aus dem von Jens Bisky, Enrico Lübbe und Torsten Buß herausgegebenen Band vielfältige, vor allem vielstimmige Denkanstöße. […] Dabei geht es kaum je um das Theater im engeren Sinne, sondern stets um die gesellschaftlichen Bedingtheiten, mit denen das Theater umzugehen hat. […] Man kann nach der Lektüre die Eingangsfrage keinesfalls beantworten, versteht aber besser, warum sie gestellt werden muss.“
Die Deutsche Bühne

Expertengespräche zu „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“

in der Spielzeit 2015/16
Im Zusammenhang mit dem Doppelprojekt „Die Schutzflehenden / Die Schutzbefohlenen“ (Aischylos / Jelinek) wurden auf Einladung des Schauspiel Leipzig erstmals spezielle Inhalte und Fragestellungen der Thematiken beider Stücke vertieft. Elf Gespräche in der Moderation von Dr. Jens Bisky von der „Süddeutschen Zeitung“ diskutierten im Anschluss an die Vorstellungen mit Gästen aus Wissenschaft, Kirche und Stadtgesellschaft. Alle Gespräche im Überblick und weitere Informationen hier.
Unter dem Titel „Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt“ sind diese Gespräche im Verlag Theater der Zeit als Band 124 in der Reihe „Recherchen“ dokumentiert. Zum Webshop
„Das Buch „Du weißt ja nicht, was die Zukunft bringt“ versammelt Ansätze darüber, wie man über Flucht sprechen kann – ungewöhnlich und unaufgeregt.“
taz