Fischer Fritz (UA)

Sprechtheater
von Raphaela Bardutzky
Übersetzungen ins Polnische von Aleksandra Lukoszek
// Gewinnerstück des Stückewettbewerbs der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater Berlin 2022

Fischer Fritz fischt keine Fische mehr. Er hatte einen Schlaganfall. Damit ist die Tradition gerissen, es gibt nun keinen Fischer mehr am kleinen Fluss im kleinen Dorf. Denn auch Fritz’ Sohn Franz fischt nurmehr noch als Hobby, er ist in die große Stadt gezogen. Aber ob es eh noch viele Fische gibt, da kann man sich auch nicht sicher sein.
Unsicher ist auch, wie es nun mit Fritz weitergehen soll in seinem Zustand. Sprechen ist schwierig, und schon aus Protest hat er sich jetzt aufs Schweigen verlegt. Aber sein Denken ist klar: „Gar nix gehd weida“, denkt der Fritz, „i bin a Wrack.“ Ein Heim kommt für ihn trotzdem nicht in Frage.
Wenig später fährt Piotra mit einigen anderen Frauen in einem Bus von Polen nach Deutschland. Sie sind auf dem Weg, um sich als Live-in-Pflegekräfte rund um die Uhr zu kümmern um Menschen wie Fritz und all die anderen, um die sich sonst keiner kümmern könnte oder würde in den großen Städten und kleinen Dörfern. „Uważaj na siebie. Tu na tym końcu świata“, pass auf dich auf hier in der Pampa, heißt es im Bus, als Piotra schließlich an Fritz’ Häuschen aussteigt.
Von dem Aufeinandertreffen dreier so unterschiedlicher Figuren als neue Familie auf Zeit erzählt Raphaela Bardutzky: Bei „Fischer Fritz“ begegnen sich Heimat und Fremde, Ländlichkeit und Großstadt, verschiedene Sprachen und ähnliche Einsamkeiten. Und nicht immer verlaufen die Linien so, wie man es zu ahnen vermeint.

Raphaela Bardutzky entwickelt ihre Geschichte und ihre Themen in „Fischer Fritz“ sehr spielerisch und auf theatral offene Weise: „Fri“ und „Fra“ und „P“ nennt sie das Personal ihres Stückes — im Kern an je eine der Hauptfiguren angedockt, spielen diese drei auch alle anderen Figuren. Dabei ist „Fischer Fritz“ nicht nur ein Sprechtheater, wie es im Untertitel heißt, sondern auch ein Sprachtheater. Ein Stück, das schnell zwischen den Ebenen und Situationen, den Sprachen und Dialekten switcht — und die Figuren können das auch. Figuren, die auch die Gedanken der anderen mitunter hören können (oder sie eh kennen), die sich ins Wort fallen und die alle gemeinsam eine besondere Geschichte erzählen: von drei Lebenswegen und ihren Bedingungen in unserer Gegenwart.

„In einprägsamen Bildern zieht sich eine Spannung durch dieses Stück, die sich immer wieder im scheinbar Unscheinbaren aufbaut“, hieß es in der Begründung der Jury der Autor:innentheatertage (ATT), die „Fischer Fritz“ auswählte für eine der drei Uraufführungen, die im Rahmen der ATT am Deutschen Theater Berlin und dann an den Kooperationstheatern stattfinden. Inszenieren wird Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiel Leipzig, im Team mit Hugo Gretler (Bühne) und Sabine Blickenstorfer (Kostüme) und dem Leipziger Jazzmusiker und Sounddesigner Philipp Rumsch.

Raphaela Bardutzky studierte Schauspieldramaturgie, Philosophie und Literaturwissenschaft an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und der LMU München. Gemeinsam mit Theresa Seraphin gründete sie 2016 das „Netzwerk der Münchner Theatertexter*innen“. Sie unterrichtete von 2018 bis 2021 Schreiben für Film und Theater am Institut für Theaterwissenschaft der LMU München. Raphaela Bardutzky lebt in München.
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Pressestimmen

LVZ
Der Abend, begleitet von Live-Musiker Philipp Rumsch, lebt vom Sound, vom Text, von immer weiter verästelten Zungenbrechern, von Artikulations-Akrobatik, die ihrerseits das Gegenteil, die Aphasie im Alter, die Sprachstörung des Fritz, erst deutlich spürbar werden lässt. [...] Nicht zuletzt erwächst Poesie aus dem sorgsam abgewogenen Gemisch von Musik mit Sprachen und Dialekt, Übersetzung und verstümmelter Social-Media-Sprache.
Berliner Zeitung
Enrico Lübbe versetzt Raphaela Bardutzkys Zungenbrecher-Sprechstück „Fischer Fritz“ über die letzten Tage eines kranken alten Fischers […] geschickt in ein schaurig-groteskes Menschenpuppentheater. Dabei jonglieren drei bubenartige Figuren im Krankenhemd mit den Lebenswegen des sterbenden Alten, seines Sohnes und der polnischen Pflegerin, die für kurz zusammenlaufen und in ihren je eigenen Verlusten, Abzweigungen, Hoffnungen die Bruchstellen der Gegenwart selbst entfalten.
Die deutsche Bühne
„Amal Keller, Julia Preuß und Mira Fajfer spielen die kleine Fabel mitreißend dicht, und Philipp Rumsch legt viel deftige Musik über Gretlers variantenreiche Bühne.“
FAZ
Mit empathischer Distanz und sensibler Musikalität inszeniert Enrico Lübbe dieses „Sprechtheater“ als die hohe Schule der Kommunikationspraxis an den Grenzen der Sprache. Das Schweigen ist hier so beredt wie eine Geste, ein polnischer Sinnspruch oder ein deutscher Zungenbrecher. Raphaela Bardutzkys anrührendes Stück verschreibt sich der Realität hinter den Worten, die Inszenierung von Enrico Lübbe fängt diese auf und macht sie greifbar. „Träum schön“ ist in der Schlussphase in Versalien auf dem Screen des Sitzmöbels zu lesen, das in die Luft gezogen wurde. Mit diesem Wunsch muss einem ums Theater nicht bange sein, es wird sein Publikum finden, behalten und begeistern.
Kultura-Extra
Lübbes Inszenierungsidee, das Stück mit drei recht agilen Schauspielerinnen zu inszenieren, geht voll auf.
Nachtkritik
Bardutzkys Stück ist eine Sprechetüde, in der die Figuren, von sich selbst entfremdet, abgekürzt als "FRI, FRA und P", in stark rhythmisierter Sprache, auf Hochdeutsch, mit Dialekt und Akzent, ihr Inneres nach außen spucken. […]
Enrico Lübbes Inszenierung findet dafür eine kluge, die strenge Formliebe des Textes aufgreifende Ästhetik: […]
Zusammen mit der immensen sprachlichen Leistung der Schauspieler:innen, die dieses hochgradig schwierige Formspiel mühelos tragen, ergibt sich eine ganz eigene Form des artifiziellen, stilisierten Erzähltheaters. Es distanziert sich einerseits von seinen Figuren, andererseits spürt es genau in sie hinein.
rbb24
Enrico Lübbes Leipziger Inszenierung setzt ganz auf diesen sprachverspielten, kunstvollen Ton und schafft mit seinen drei bewundernswert zungenbrechenden Schauspieler:innen eine angenehm leichtfüßige Inszenierung.
Tagesspiegel
Mit logopädischem Furor werden allerlei Wortzerlegungsübungen performt, um die Geschichte eines Fischers mit Schlaganfall zu erzählt [sic!], der sich eine polnische Pflegekraft ins Haus holt. Mit fortschreitender Dauer […] entfaltet sich Bardutzkys Sprachmacht weniger plakativ und schafft schöne, leisere Momente von gemeinsamer Einsamkeit.
TAZ
Trotz nachlassender Konzentrationsfähigkeit erwies sich ausgerechnet das letzte Stück, „Fischer Fritz“ als gut. Das lag zum einen am munteren Sprachwitz der Autorin Raphaela Bardutzky. Zum anderen fand Regisseur Enrico Lübbe auch geeignete Umsetzungsideen zu dessen Transport. Amal Keller, Julia Preuß und Mira Faifer tauchen zunächst gleichberechtigt ins Zungenbrecheruniversum des Fischers mit den frischen Fischen ab. Daraus kristallisieren sich Figurenkonstellationen heraus. Keller wird zum alternden Fischer, dessen Feinmotorik rauer wird, sodass er nicht mehr fischen kann und von Sohn Franz zum Heimaufenthalt überredet wird. Die Sturheit und Bockigkeit dieser Figur drückt Keller mit kargem Reden, abwehrendem Blick und kompakter Körperhaltung derart überzeugend aus, dass man sich fragt, wie im Theater überhaupt nur der Diskurs der repräsentativen Besetzung nach Kriterien wie Geschlecht, Lebensalter oder Herkunft entstehen konnte. Nein, diese Schauspielerin noch unter 30 bringt sowohl die knorrige Lebensverweigerungshaltung dieses Alten jenseits der Schlaganfallgrenze als auch dessen unter der harten Abwehrschale steckende Verletzlichkeit so stark zum Ausdruck, dass ein Mitfiebern mit dieser Figur trotz aller ihrer Makel ganz unausweichlich wird.
Uraufführung am 18.06.2022
Autor:innentheatertage am Deutschen Theater Berlin 2022

Leipzig-Premiere am 27. Oktober 2022



Spieldauer

ca. 1:20, keine Pause

Besetzung

Team

Bühne: Hugo Gretler
Musik, Live-Musik: Philipp Rumsch
Beleuchtung: Thomas Kalz
Theaterpädagogische Betreuung: Amelie Gohla

Erweitertes Team

Video: Fabian Polinski
Ton: Nico Teichmann
Inspizienz: Jens Glanze
Soufflage: Ditte Trischan
Regieassistenz: Johannes Ernst Richard Preißler, Emily Huber
Bühnenbildassistenz: Chiara-Alicia Stuto
Kostümassistenz: Ragna Hemmersbach
Maske: Kerstin Wirrmann, Norbert Ballhaus, Astrid Storch
Requisite: Sebastian Hubel
Bühnenmeister: Mattheo Fehse

Trailer