Gespenster oder Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken

nach Henrik Ibsen / Daniel Paul Schreber
Der Vergangenheit soll ein Denkmal errichtet werden. Doch das Erbe der Väter erscheint vielmehr in den Leibern der Söhne — sie werden zu den Wiedergängern ihrer Geschichten.

Ein nicht enden wollender Regen verschleiert düster den Landsitz der Familie Alving, als Osvald, der Sohn des Hauses, schlaftrunken aus Paris heimkehrt. Anlass seiner Rückkehr ist die Einweihung eines Kinderasyls zu Ehren seines verstorbenen Vaters. Mit dieser Stätte soll die Erinnerung weggerückt werden und Osvald nie erfahren, welch einen Abgrund die Ehe seiner Eltern barg. Als sich die Geschichte aber zu wiederholen droht und Osvald mit dem Stubenmädchen, das ihm näher steht, als er zu glauben vermag, anbandelt, beschließt seine Mutter, dies zu verhindern. Doch die Vergangenheit scheint bereits zu deren unwiderruflicher Zukunft geworden zu sein: Osvald wurde attestiert, dass seit seiner Geburt etwas Wurmstichiges in ihm hause. Er wird eingeholt von der Krankheit des Vaters, aber vielmehr noch von den Geistern der Vergangenheit. Eine Hinterlassenschaft, derer man sich nicht entledigen kann.

Dieser fiktiven Familiengeschichte steht die reale der Leipziger Familie Schreber gegenüber. Auch Daniel Paul Schreber, Sohn des berühmten Pädagogen und Arztes Moritz Schreber, scheint die Vergangenheit befallen und eingenommen zu haben. Sein Geist wird zersetzt von einer überbordenden Macht, von Zellen, Stimmen und Visionen. Halluzinationen hält er für übersinnliche Wunder, nicht für die Ausgeburt seiner Phantasie. Festgehalten hat er seine jahrzehntelange Erkrankung, die Klinikaufenthalte sowie detailreiche Beschreibungen seiner Wahnbilder in den „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“.

Und auch sein Vater hinterließ etwas in ihm. Mit den Grundlagen zur Kallipädie, der Erziehung zum schönen und aufrechten Menschen, schuf er eine gelebte Vergangenheit für seinen Sohn. Das erfahrene Maß an Disziplin und körperlicher Ertüchtigung sowie die Anwendung mechanischer Vorrichtungen scheinen sich im Körper seines Sohnes eingenistet zu haben — ein unbändiges Wesen, das ihn immer wieder anfällt und schließlich überwältigt.

Es sind die Geister der Vergangenheit, die sich immer wieder der Körper bemächtigen, sie heimsuchen und schließlich nicht mehr loszulassen scheinen. Sie hausen im eigenen Innen, sie sind in uns. Zum Leben erweckt, sprechen sie durch uns hindurch. Die Vielzahl ihrer Stimmen entfacht einen Wahn, der die Realität des Außen und Innen zunehmend ineinander übergehen lässt. Die Vergehen der Vergangenheit, einmal in die Welt gesetzt, lassen sich nicht mehr ausräumen — sie kehren wieder.
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Pressestimmen

Deutschlandfunk Kultur
„Eine radikale, aber sehr einleuchtende Lesart von Ibsens Familiendrama. […] Beklemmend und gruselig.“
LVZ
„Faszinierende An- und Innensichten eines Gespenstes in einer Gespensterwelt. [...] Preuss ist eine gespenstische, denkwürdige Inszenierung gelungen.“
nachtkritik.de
„Sehr schön fällt ihr Vogelstimmengezwitscher aus: Zu Sperling-, Raben- und Uhurufen bewegen sie [die Schauspieler] die Münder und tun, als ob sie ein, zwei, drei Vöglein wären. In solchen Momenten ist die Inszenierung bei sich und wird vom guten Ensemble auch getragen.“
KULTURA-EXTRA
„Als Bilder gebendes Gestaltungsmittel und Ausdruck unterbewusst reflektierter, starrer protestantischer Moralerziehung machen sich Schrebers Wahnvorstellungen in der Inszenierung sehr gut. […] Zusammen mit der hochintensiven Musik des live spielenden Levitation String Ensemble verdichtet sich der Abend zu einem düsteren Gesellschaftsbild.“
Premiere am 31. März 2018

Spieldauer

ca. 3:00, eine Pause

Besetzung

Ellen Hellwig als Helenes Mutter
Anna Keil als Frau Helene Alving
Andreas Keller als Osvald³
Tilo Krügel als Tischler Engstrand
Markus Lerch als Pastor Manders
Denis Petković als Osvald³
Julia Preuß als Regine Engstrand

Team

Bühne & Kostüme: Ramallah Aubrecht
Live-Video: Konny Keller
Dramaturgie: Christin Ihle
Licht: Carsten Rüger

Trailer