Auftragswerk des Schauspiel Leipzig

Für meinen Bruder (UA)

von E. L. Karhu
Deutsch von Stefan Moster
Untrennbar scheinen sie verbunden: „Ich“ — sie, die Schwester, laut Selbstbefund „hässlich“ und evtl. dick — und „er“, ihr Bruder, „ein schöner Mann, der schöne Frauen liebt“. Eine Paarung der Gegensätze ist das Zusammenleben der beiden, der Bruder für die Schwester ein Türöffner zum Leben, zur Ausschweifung, zum Begehren; sie für ihn ein notwendiger Gegenpol, die Bestätigung seiner Lebensweise, diffuse und doch starke Anziehung. Wie zwei Himmelskörper in gebundener Rotation umkreisen sich die beiden unaufhörlich.

E. L. Karhu beschreibt in „Für meinen Bruder“ eine Symbiose zweier entgegengesetzter Figuren. Das System, das die beiden bilden, ist eines von Beobachten und Beobachtetwerden, in dem die Grenzen zwischen den Geschwistern mimetisch verschwimmen — und in das andere Personen willentlich-unwillentlich hineingezogen werden.

Doch was genau ist dieses geschwisterliche Doppelgestirn? Eine dysfunktionale Abhängigkeitsbeziehung? Ein Spiel aus Faszination am Absonderlichen? Ein morbides soziologisches Experiment? Karhu schreibt zwischen und jenseits all dieser Kategorien, manchmal haarscharf am Horror vorbei, am Psychothriller, und meint doch den Horror des Alltäglichen, den kleinen Voyeurismus von nebenan, den Ekel, der morgens mit am Frühstückstisch sitzt.

E. L. Karhu ist eine der erfolgreichsten Theaterschriftstellerinnen in Finnland. Nach „Prinzessin Hamlet“ und „Eriopis“ ist „Für meinen Bruder“ bereits das dritte Stück, das von ihr in der Diskothek des Schauspiel Leipzig zu sehen ist.
Nach Inszenierungen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Thalia Theater Hamburg und Residenztheater München stellt sich Elsa-Sophie Jach mit „Für meinen Bruder“ dem Leipziger Publikum vor.
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Pressestimmen

DLF Fazit
Elsa-Sophie Jach hat die Erzählerfigur aufgespalten in zwei männliche und zwei weibliche Ensemblemitglieder, quasi in eine multiple Erzählerpersönlichkeit. Alle vier sind in sehr phantastische bunte Kostüme gesteckt, in Fabelwesen, die nichts mit dem Realismus, den dieser Text phasenweise auch auszeichnet, zu tun haben. […] Die Dramatik hat etwas von der Berliner Schule – wir kennen das von Filmen oder von einer Dramaturgie, die lange sehr linear immer wieder um ein ganz zentrales Thema kreist – dieser symbiotischen Beziehung zwischen dem sehr schönen Bruder und der hässlichen Schwester – die aber dann zu einem sehr späten Zeitpunkt plötzlich umschlägt, zu einem Wendepunkt, und man merkt, diese hässliche Schwester entwickelt dann doch ihr eigenes Leben.
Kunst und Technik
Das [parlieren] tun die vier Schwestern Amal Keller, Teresa Schergaut, Thomas Braungart und Patrick Isermeyer akustisch brillant. Die Bühne hat Marlene Lockemann sehr peppig gestaltet: Aus löchrigen Zähnen schlängelt sich eine Zunge zum Keks aus der Prinzenrolle. Dessen oberer Teig hebt und senkt sich, und die Schokofüllung wird als Drehscheibe genutzt. Gleichermaßen passend sind die grellen Kostüme von Aleksandra Pavlović, deren schreienden Farben knallbunte Plasteteilchen anhaften. Das hat was.
LVZ
„Für meinen Bruder“ der finnischen Autorin E.L. Karhu, ein Auftragswerk des Schauspiels Leipzig, wurde am Samstag in der Diskothek uraufgeführt, begeistert aufgenommen vom Publikum. Regisseurin Elsa-Sophie Jach lässt den Monolog der namenlosen Schwester von vier Personen sprechen (Deutsch von Stefan Moster). Zwei Frauen, zwei Männer teilen sich rein in den eigentlich beklemmenden Bericht von Ausnahmezuständen in gesellschaftlicher Isolation. In den starken Momenten vervielfacht die Choreografie der Stimmen Angst und Bedrohung. […] Überlebensmittel sind Süßigkeiten aller Art. Das greift das Bühnenbild (Marlene Lockemann) auf, das von einer Zunge dominiert wird, die an eine Fruchtschlange erinnert und als Rutsche zu einer Art Doppelkeks führt. Auf der es hinabgeht, aber auch hinauf. Und von der in Streifen ein Vorhang hängt, den Amal Keller, Teresa Schergaut, Thomas Braungardt und Patrick Isermeyer ins Verhüllspiel einbeziehen. Immer bleibt die Viererbande in Bewegung, krabbelt, rennt und tanzt sich die Seele in den Leib. Sie halten das Unbedarfte und das Gespenstische zusammen.
Premiere am 16. April 2022
Diskothek

Spieldauer

ca. 1:50, keine Pause

Die Lautstärke dieser Inszenierung überschreitet stellenweise 95 Dezibel.

Team

Autorin: E. L. Karhu
Musik: Max Kühn
Dramaturgie: Georg Mellert
Licht: Thomas Kalz
Theaterpädagogische Betreuung: Amelie Gohla

Trailer