Künstlerisch.Zusammen.Arbeiten.

Thementag zur Organisation und Reflexion künstlerischer Arbeitsprozesse im Theater
Das Schauspiel Leipzig veranstaltet unter dem Titel „Künstlerisch.Zusammen.Arbeiten.“ einen Thementag zur Organisation und Reflexion von künstlerischen Arbeitsprozessen am Theater. In Deutschland stehen bei diesem Thema die vom Tarifvertrag NV Bühne gesetzten Rahmenbedingungen besonders im Fokus. Sie sind der rechtliche Rahmen der überwiegend künstlerisch Beschäftigten, mit dem einerseits kreative Spielräume und andererseits arbeitsrechtliche Verbindlichkeit organisiert werden sollen. Kontrovers diskutiert wurden und werden darin nicht zuletzt die „künstlerischen Gründe“, die unter bestimmten Umständen zur Beendigung des Vertrages führen können, zur sogenannten „Nichtverlängerung“.
Um den Begriff der „künstlerischen Gründe“ herum soll das Treffen in Leipzig bestehende Streitpunkte thematisieren, Fragen aufwerfen und Ideen skizzieren, wie sich die künstlerische Zusammenarbeit zukünftig weiterentwickeln ließe, um Wege einer verbesserten Praxis dafür zu erörtern.

Im Podium diskutieren am Abend Claudia Schmitz (Geschäftsführende Direktorin Deutscher Bühnenverein), Lisa Jopt (Präsidentin Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger GDBA), Marie Senf (Geschäftsführung ensemble-netzwerk), Eva Lange und Carola Unser-Leichtweiß (Intendantinnen am Hessischen Landestheater Marburg), Ulrich Khuon (bis Juli 2023 Intendant am Deutschen Theater Berlin) sowie Prof. Marion Tiedtke (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main). Es moderiert die Kulturjournalistin Barbara Behrendt.

Zuvor bieten verschiedene parallele Workshops Input und Diskussionsraum für unterschiedliche Aspekte des Themenfeldes: Wie organisieren sich künstlerische Prozesse, auf Proben und darüber hinaus? Welche Modelle des künstlerischen Feedbacks gibt es? Wie gestalten sich Ensemble- und Vertragsstrukturen außerhalb des deutschen Theatermodells? Und was genau beinhaltet der geltende NV Bühne eigentlich?

Den Workshops voran geht ein Impulsvortrag von Prof. Marion Tiedtke. Marion Tiedtke ist Professorin für Schauspiel an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main und zugleich auch Leiterin des entsprechenden Studiengangs dort, sowie Dramaturgin für Schauspiel und Oper. U.a. arbeitete sie als Dramaturgieassistentin an der Schaubühne in Berlin, als Dramaturgin am Schiller Theater Berlin, Bremer Theater, Bayerischen Staatsschauspiel, Wiener Burgtheater, an den Münchner Kammerspiele sowie zuletzt, auch in der Funktion als stellvertretende Intendantin, am Schauspiel Frankfurt. Sie war Mitglied verschiedener Jurys (Eysoldt-Ring, Mülheimer Dramatikpreis) und moderiert und kuratiert in Frankfurt / Main eine Redenreihe zu Themen der Gegenwart. Marion Tiedtke hat im Mai 2023 eine Ausbildung zur Systemischen Beratung abgeschlossen.
Aus den verschiedenen Perspektiven und Funktionen ihres beruflichen Lebens im Theater-Bereich schaut sie in einem Impuls-Vortrag für den Leipziger Thementag „Künstlerisch.Zusammen.Arbeiten“ auf ihre Erfahrungen und die gegenwärtigen Diskussionen.

Der Thementag findet statt in der Residenz des Schauspiel Leipzig auf dem Gelände der Baumwollspinnerei in Leipzig-Lindenau. Der erste Teil ist auf Anmeldung, die Podiumsdiskussion ist öffentlich.
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DIE WORKSHOPS

Die Workshops finden parallel statt, angesetzt sind ca. 2 Stunden. Jeder Workshop beginnt mit einem Input-Vortrag, gefolgt von Diskussion & Austausch in der kleinen Workshop-Gruppe. Ab 17:30 ist in der großen Runde die gemeinsame Auswertung und Vorstellung der vier Workshops geplant, ihrer Themen und der Diskussionen dazu.

1. Kommunikation im Kunstprozess

Workshopleitung: Christina Barandun
Kommunikation in Teams und Ensembles ist eine essenzielle Voraussetzung für ein kreatives künstlerisches Arbeitsumfeld. Christina Barandun beschreibt ihr Modell „dynamic safe spaces“, das sie aufgrund ihrer Erfahrungen in zahlreichen Workshops mit Kulturbetrieben und Ensembles entwickelt hat, das beschreibt, wie alle am Kunstprozess Beteiligten die Kommunikation verbessern und Lösungsmöglichkeiten bei organisatorischen, emotionalen und kreativen Herausforderungen entwickeln können.

2. Gemeinsame Expertise strukturiert nutzen: Impulse zu künstlerischem Feedback (frei nach DasArts)

Workshopleitung: Georg Weinand
Der gebürtige Belgier Georg Weinand arbeitet als freiberuflicher Dramaturg, Kurator und künstlerischer Berater in Brüssel. Bis 2012 war er Mitglied des Ausbildungsteams von DasArts an der Theaterfakultät der Amsterdamer Hochschule der Künste. Dort reformierte er das Curriculum des Masterstudiengangs und entwickelte u. a. ein Verfahren zu künstlerischem Feedback im Arbeitsprozess, das mittlerweile international in Ausbildungseinrichtungen, Kulturinstitutionen und Ensembles viel Beachtung findet. Ausgehend von der ursprünglichen Fassung der Hochschule entwickelt Georg Weinand die Formate weiter, um sie gezielt für die Arbeit an Theatern nutzbar zu machen. Im Workshop berichtet er von dem ursprünglichen Impuls, eine strukturierte Form für Feedback für künstlerische Arbeitsprozesse zu schaffen, und diskutiert seine aktuellen Erfahrungen mit der Anwendung in Ensembletheatern.

3. Tous ensemble? Theater(haus)Strukturen im Ausland

Workshopleitung: Stefan Bläske
Andere Länder, andere Systeme. Stefan Bläske (Theater Bremen) war 2018 bis 2020 leitender Dramaturg am NTGent und vergleicht die Ensemble- und Vertragsstrukturen in Belgien und anderen europäischen Ländern. Wie ist die Zusammenarbeit von Institution und Künstler*innen strukturiert? Wie verabreden sich Schauspieler*innen, künstlerische Teams und Theaterleitungen für eine gelingende kreative Zusammenarbeit (auf Zeit)?

4. Der NV Bühne

Workshopleitung: Claudia Schmitz
Der NV Bühne ist der geltende Tarifvertrag für die künstlerisch Beschäftigten an deutschen Theatern. Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, erläutert seine wesentlichen Inhalte: Was sind seine Besonderheiten? Wie strukturiert er die Arbeit und damit die künstlerischen Prozesse an Theatern? Was ist Hintergrund seiner Regelungen?

DAS PODIUM

Stimmen und Positionen zur Podiumsdiskussion:
ensemble-netzwerk: „Es geht auch um die Kraft des Selbstverständnisses und der
Selbstermächtigung derjenigen, die ihr Leben dem Theater gewidmet haben. Die Nichtverlängerung aus „künstlerischen Gründen“ hat sich in unzähligen Beispielen als Sollbruchstelle der schöpferischen Existenz bewiesen und zu einem Gefühl der Abwertung geführt. Das kann nie im Sinne eines Kunstraumes sein, der von der Stärke der Macher*innen abhängig ist. Wir müssen darüber reden. Es gibt eine historische Chance, Glaubenssätze zu überdenken, die sich nachweislich nicht bewährt haben.“
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins: „Für kreative Prozesse verabredet man sich für eine Kooperation auf Zeit. Zusammenarbeit und Miteinander, Engagement und Trennung richten sich allerdings nicht nur nach tariflichen Vorgaben, sondern auch nach Werten, wie sie im Wertebasierten Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins hinterlegt sind und an den Bühnen täglich in die gelebte Praxis umgesetzt werden.“
Prof. Dr. Thomas Schmidt, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main: „Ich glaube nicht, dass der NV Bühne zukunftsfähig ist. Seine Belastung mit den Begriffen ungerecht, neoliberal und Kettenarbeitsvertrag und die über 30.000 Nichtverlängerungen in den letzten 50 Jahren Theatergeschichte drängen auf eine Neubewertung. Es braucht einen neuen Theater-Einheitsvertrag, der die Verträge der drei großen Gruppen der Theater-Mitarbeiter*innen – Künstler*innen, Musiker*innen und Technik/Administration - unter ein Dach bringen soll. Wie man in diesem Modell mit einer Vertragskündigung oder -Auflösung umgeht und welche Rolle hier der Begriff der Nichtverlängerung aus künstlerischen Gründen spielen wird, sollte von den Tarifparteien und den Mitarbeiter*innen neu verhandelt werden.“
(Anmerkung 02.09.2023: Prof. Dr. Thomas Schmidt sagte seine Teilnahme an der Podiumsdiskussion kurzfristig ab.)
Lisa Jopt, Präsidentin der GDBA: „Ein Fachtag für die Analyse von „künstlerischen Gründen“ ist eine sehr gute Idee, dieses Thema muss bundesweit diskutiert werden, denn so wie es ist, kann es nicht bleiben.“
Ulrich Khuon, Intendant Deutsches Theater Berlin von 2009–2023: „Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, Verabredungen und Vereinbarungen darüber zu treffen, wie wir unsere oft dürftige Realität näher an die Utopie „Künstlerisch. Zusammen. Arbeiten“ heranbringen können.“
Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiel Leipzig: „Ich finde es wichtig, wenn ein Prozess starten würde, der unterschiedlichste Stimmen und Ideen sammelt. Deswegen ist es mir wichtig, dass viele beteiligte Seiten zu diesem Thema in Leipzig zusammenkommen. Wie eine künstlerische Zusammenarbeit die nächsten Jahre aussehen kann, ist für die gesamte Theaterlandschaft in Deutschland eine der grundlegenden Fragen.“

PROGRAMM

Ab 14:00 Check-in
14:30 Begrüßung durch Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiel Leipzig & Impulsvortrag von Prof. Marion Tiedtke (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt)
15:00 — 17:00 parallele Workshops
17:30 — 18:30 gemeinsame Vorstellung aller Workshops & Diskussionen
19:30 — 21:30 öffentliche Podiumsdiskussion
22:00 Ausklang

HINWEISE

  • Die Platzzahl in den Workshops ist begrenzt, wir bitten um rechtzeitige Anmeldung unter thementag@schauspiel-leipzig.de.
  • Adresse der Residenz in der Baumwollspinnerei in Leipzig-Lindenau: Halle 18 (Aufgang E), Spinnereistraße 7, 04179 Leipzig.